Severobaikalsk bis Tynda |
On Tour | |
17. Juli 2008, Tynda Videoaufnahme ... irgendwo aus Sibirien
Am Freitag den 27. Juni traf ich in Severobaikalsk ein. Ich hatte mich schon laenger gefreut dort geplante 3 Tage zu verbringen. Es winkte sowas wie Ferien von den Ferien, Urlaub von der Strasse, sollte es in S. doch sowas wie eine Tourismusindustie geben. Organisierte Wanderungen, Rafting, Bootsfahrten, Museum und so anderes Zeugs was Touristen eine Freude macht und natuerlich Gasthaeuser. Die gibt es da auch tatsaechlich, jede Menge sogar, das Problem ist nur sie zu finden. Severobaikalsk entstand mit dem Bau der Bahnline in den 70er Jahren und hat etwa 30.000 Einwohner, ist also nicht zu gross und eigentlich, weil auf dem Reisbrett entworfen, ganz uebersichtlich. Bereits am Ortseingang stehen, absolut ungewoehnlich, ein paar Werbeschildchen fuer die Gastinizas, auf denen neben der Anpreisung des zu erwartenden Luxus (Sauna, Internet, Fernsehen. usw....) die Adresse steht nach der man sich durchfragen darf. Der Pfeil auf manchen dieser Schilder deutet auf die Richtung hin, in der Jupiter zur Sommersonnenwende am Horizont steht. Oder er zeigt an wo im Winter Dienstags der Markt ist. Auf jeden Fall hat der Pfeil nichts damit zu tun wo die Gastiniza liegt. Ich hab das ueberprueft. Mehrmals. Bei verschiedenen Schildern und sehr hartnaeckig, denn ich dachte immer, ich sei einfach nur zu bloed die G. zu finden. Manche Anwohner wurden so langsam misstrauisch sooft bin ich da vorbeigefahren. Auch der angepriesene Komfort stimmt meist nicht mit dem ueberein was man dann vorfindet. Naja, auf den Verpackungen meiner Fertigsuppen sieht das alles auch immer ganz toll aus. Der sogenannte Serviervorschlag, Warum sollte es hier also anders sein. Wenn man seinen Kommunikationssateliten in den Orbit geschossen, die Faltsauna aufgeblasen und den Fernseher aus dem Nachbarzimmer entwendet hat, dann, ja dann kann man sich das so einrichten wie es auf den Schildern steht. Ich bin dann irgendwann und mehr per Zufall im “Dom u Baikal” ( = Haus am Baikalsee) gelandet. Bevor ich hier zu negativ werde: eine wirklich gute Gastiniza, wahrscheinlich die beste in Severobaikalsk. Mit einer hilfsbereiten, englisch sprechenden Chefin (das stand nicht mal auf dem Schild) und dem angepriesenen Fernseher im Zimmer. (allerdings Sauna – njet, Internet – njet aber die Gemeinschaftdusche war modern und hatte ein eingebautes Radio!)
Die Unterkuenfte muss man uebrigens immer im voraus bezahlen (bei mir also 3 Naechte a 1100 Rub, sind ca. 100 EUR) was mich etwas in Bedraengnis brachte weil ich grad kein Geld mehr hatte. Ich bin dann also, nachdem ich kurz meine Sachen in meinem Zimmer abgestellt hatte, nochmal mit dem Rad zum Bahnhof um dort Geld abzuheben denn meist hats dort einen Bankomaten. In Severobaikalsk hat es sogar zwei doch leider war keiner der beiden bereit, mir selbst nach dem 3. Versuch Geld zu geben, was mir so langsam die Sorgenfalten auf die Stirn und den nicht wenigen hinter mir wartenden Russen die Zornesroete ins Gesicht trieb. Ich hatte gerade aufgegeben und wollte den Bahnhof verlassen als mich Bakeef ansprach. Er arbeitet bei der BAM und hatte mich 3 Tage zuvor gesehen als er mit dem Zug an mir vorbeifuhr waehrend ich gerade neben den Gleisen Mittagspaue machte. Er hatte wirklich eine Riesenfreude mich zu sehen und packte auch gleich die 3 deutschen Woerter aus die jeder Russe, ich erwaehnte es bereits, kann. Als ich ihm mein Problem mit dem Bankomaten erklaer beschliesst er spontan mir zu helfen und mich in die Innenstadt zu einer Bank zu fuehren. Vorher aber muessten wir erst mal zu ihm nach Haus was Essen, ich koenne dann auch mein Rad bei ihm stehen lassen so lange wir in der Stadt sind. Er macht einen netten Eindruck, also lass ich mir das nicht entgehen endlich mal eine russische Wohnung von innen zu sehen. Die Fassade der russischen Wohnhaueser und auch der allgemeine Eingangsbereich bzw das Treppenhaus lassen das Schlimmste befuerchten. Wer sich ueber Hundehaufen im Stadtpark beschwert, der ist noch nicht in einen in einem russischen Treppenhaus getreten. Ich war umso ueberraschter als ich dann eine sehr schoene, helle, saubere und modern eingerichtete Wohnung zu sehen bekam. In der Kueche wurde sogleich Wurst und Brot und Eier und Karottensalat (fast so gut wie der von Inge) gereicht und, nachdem er mir mehrmals versichert hatte dass er seit einem Jahr keinen mehr angeruehert hat, dann der Wodka der diesen Freitag zu einem denkwuerdigen Tag werden liess, dem aber leider der Name meines Gastgebers zum Opfer viel. Bakeef steht auf einem meiner vielen Zettel in meinem Geldbeutel und ich meine dass das sein Name ist. Also nach der Staerkung und diversen kleinen Wodkas (= sto = 100 gramm) war eine Flasche leer. Ich wollte wirklich nur einen einzigen Trinken, aber wie das so ist, mussten wir auf saemtliche Familienmitglieder seinerseits anstossen. Das ware ja sehr unhoeflich von mir gewesen haette ich abgelehnt auf seine Cousins anzustossen, oder auf seinen verstorbenen Grossvater. Wir verliessen, ich bereits leicht beschwipst, B. schon mit einer ordentlichen Fichte im Gesicht weil er schon vormittags ein wenig Bier getrunken hatte, die Wohnung, um uns zur naechsten Bank zu begeben. Vor dem Haus pfeifft B. den Lada eines Bekannten heran und wir koennen die 350m zur Bank mitfahren. Bis wir dann endlich am Bankomaten standen hat B. noch 5 weitere Bekannte getroffen und mit ihnene in kleines Schwaetzchen gehalten. Jedesmal werde ich als deutscher Tourist vorgestellt der mit dem Rad durch Sibirien faehrt und bei jeder Begegnung kramt B. irgendwelche deutschen Woerter aus seinem Gedaechtnis, haengt sie gnadenlos aneinander und wirft sie mir, so als sei Deutsch seine Muttersprache, selbstbewusst an den Kopf um anzudeuten, dass er das gerade Gesagte Russische mal eben fuer mich ins Deutsche uebersetzt hat. Da entstand dann zum Beispiel sowas wie “das ist Grossvater und das der Grossmutter und das ist ja fantastisch” auch wenn es grad um die schlechten Strassen ging Ich bestaune freudig den Glanz in dem er vor seinen Bekannten erstrahlt und nicke jedesmal verstaendig, ab und zu werfe ich ein, “das ist wohl wahr” und “wo er recht hat hat er recht” ein was von I. seinerseits mit eifrigem Kopfnicken bestaetigt wird. Der Bankomat spuckt tatsaechlich Geld aus und dann gehts weiter denn ich hatte erwaehnt dass ich keine guten Karten von der Gegend nach Severobaiklals besitze. Es wird eine groessere Suchaktion gestartet die mich in eine sehr heruntergekommene Armensiedlung fuehrt, mit Haeusern ohne irgenein Fenster deren Front nur aus Klapptueren und deren Daecher nur aus Wellblech bestehen. Hier vermutet B. sein Auto in dem er eine Karte vermutet auf der er die Gegend nach Severobaikalsk vermutet.
Exkurs IV Favelas in Russland Autos stehen in russischen Staedten meist in Garagen und nicht wie bei uns direkt vor dem Haus. Die Garagen sind irgendwo am Dorfrand, wie in einer kleinen Reihenhaussiedlung, Wand an Wand, mit einem richtigen Netz aus kleinen Strassen dazwischen, zusammengefasst. Aus jedem Garagenflachdach lugt ein Ofenrohr und als ich das erste mal in Bratsk so eine Garagensiedlung direkt neben der Schnellstrasse sah, dachte ich, dass das so ne Art russische Favela sein muesste wo die Aermsten der Armen wohnen. Falsch, hier wohnen schlimmstenfalls billige Ladas, aber immerhin im Winter beheizt damit sie nicht einfrieren.
Als er sein Auto dann endlich, nicht in einer Garage, sondern hinter einem 3m hohen Bauzaun entdeckt der irgendein Bahnareal umschliesst, ist er ganz happy und der Zaun wird unter nicht zu verachtenden Muehen und einer Raeuberleiter meinerseits ueberwunden. Die Karte die er dann aus dem Auto zaubert zeigt die Gegend westlich des Ural im Massstab 1:2000000 und ist fuer mich so nuetzlich wie eine aufblasbare Axt. Aber egal, vor dem Bahnareal steht auf einmal wieder ein Lada eines Bekannten und der verfrachtet uns ein paar km aus der Stadt hinaus auf eine Wiese direkt am Baikalsee auf der die Haelfte der Stadt ein Fest feiert (“80 Jahre Buriatien” oder sowas) und wo B seine Familie vermutet, er ist naemlich verheiratet und hat einen Sohn (15 Jahre). Klar dass B. dort auch nicht wenige Bekannte trifft (allerings nicht seine Familie), doch hier beschraenken sich die Treffen nicht auf pures Reden, sondern ab hier ist dann der Spass zu Ende und jedes Treffen wird mit einem Wodka begonnen und beendet. Irgendwann ist B. verschwunden doch 10 Minuten spaeter wird die Musikbeschallung der Festwiese unterbrochen und ich hoer eine Lautsprecherdurchsage die “Greetings to Germany” ueber das komplette Festareal hinausblaest und mir wird klar wo er die Zeit ueber war. Sehr geil, ich bin fast umgefallen vor Lachen. Anschliessend komm ich, gezungen durch B., nicht drumherum mich in den Baikalsee zu begeben und eine Runde zu schwimmen, Immerhin werd ich dadurch wieder etwas klarer im Kopf, das Wasser ist recht frisch. Irgendwann am fruehen Abend ist dann das Fest zu Ende und wir torkeln als Letzte vom Platz zu einem Taxi das uns zurueck zu B's Wohnung bringt. Dort ist dann auch seine Frau + Sohn anwesend. Die Wiedersehensfreude haelt sich, seitens der Frau, in Grenzen als sie ihren stockbetrunkenen Mann sieht doch sie ist sehr sehr nett zu mir und bietet mir etwas zu Essen an und kocht sogar extra fuer mich eine Suppe. So komme ich dann noch in den Genuss eines Abendessens und eine Stunde spaeter ist mein kurzer Ausflug zum Bankomaten am Bahnhof zu Ende, der dann letztlich 8 Stunden dauerte, das Haltbarkeitsdatum meiner Leber aber wahrscheinlich um ein paar Monate veringert hat. Zum Abschied schenkt mir B. auch noch eines seiner Orginalunterhemden der russischen Marine (die weiss-blau gestreiften Teile). Zurueck in der Gastiniza treff ich beim Bezahlen auf - was ein Zufall – Vitali, den Kamas-Fahrer dem ich bereits 2 mal zuvor auf dem langen Weg von Taishet hierher begegnet bin. Er uebernachtet hier bevor er am naechsten Tag wieder weiterfaehrt, zurueck nach Bratsk. Gibts ja gar nicht, wir freuen uns beide sehr und der Abend klingt dann noch bei ein paar Bier auf der Veranda der Gastiniza aus. Irgendwie geht das auch immer mit der Kommunikation, man muss nur wollen und Geduld haben, meistens versteht man sich dann irgendwie: Wild gestikulieren, Zeichnungen anfertigen, mit dem Finger auf Woerter im Woerterbuch zeigen, dabei immer schoen Lachen und den Bierkonsum nicht vergessen. Klar aergere ich mich oft darueber dass ich kein Russisch kann und mich manchmal taubstumm fuehle, doch oft erstaunt es mich wie wenig es braucht um einander zu verstehen wenn sich die “richtigen” Menschen treffen. Ok, also die folgenden 2 Tage hab ich nichts unternommen ausser mich von diesem Freitag zu erholen und noch Berichte zu schreiben. Nix Rafting, Nix Wanderungen in die Gegend, nix Bootsfahrt auf dem Baikal (aber egal, das Wetter war zwar warm doch leider sehr diesig, man konnte die 40 km entfernten, 2500m hohen Berge auf der gegenueberliegenden Seite des Sees nur erahnen) und auch kein Besuch eines Museums das ich sowieso nicht gefunden haette . Am Sonntag bin ich dann sogar um halb 4 aufgestanden um, das Finale zw. D und Spanien anzuschauen. Mann waren wir schlecht, haett ich mal lieber weitergeschlafen. Die Spanier waren wirklich Welten besser und haben verdient gewonnen. Das war uebrigens das einzige Spiel von dem ich was in Russland mitbekommen hab. Fussball ist, zumindest in diesem Teil Russlands, ueberhaupt nicht populaer, da hat auch das Erreichen des Halbfinals der russischen Mannschaft nichts dran geaendert...
Bild Vitali und sein KAMAS
Bild Steilkueste des Baikalsees
Nun, ich verliess Severobaikalsk am Dienstag den 1. Juli in Vorfreude auf die kommenden Tage, winkte doch so etwas wie Ferien von den Ferien, Urlaub von der Stadt. 20 km war ich schon gefahren als mir einfiel, dass ich meinen Reisepass nicht von der Rezeption der Gastiniza zurueckerhalten hatte. Schoen, wieder zurueck und zur Strafe gleich nochmal 20 km gefahren. Da das Wetter wunderbar ist und ich eigentlich nicht viel vom Baikalsee mitbekommen hab, beschliesse ich ein paar km vor Nishneangarsk bereits mittags mein Zelt direkt am See aufzustellen. An meinem Platz gibt es sogar eine gescheite Feuerstelle mit einer alten rostigen Metallbox (= Grill) auf dem man Fisch/Fleisch zubereiten kann. Gegen 3 Uhr Nachmittag kommt auf einmal ein Kleintransporter angefahren, beladen mit einem kleinen Schlauchboot und 4 Russen, 3 davon rabenvoll. Wieder die ueblichen Fragen nach dem Woher und Wohin und dann fahren 2 rabenvolle Russen raus auf den See um Fisch zu fangen. Sie kommen nach einer Stunde mit jeder Menge Omul , das ist eine Fischart die es nur im Baikalsee gibt und sehr sehr lecker ist, wieder zurueck. Selbstverstaendlich werde ich eingeladen mit ihnen den Fang zu vertilgen und gegen Abend machen sich die 4 wieder auf den Weg nach Haus. Das schoene war dass die irgendwann sooo voll waren dass sie gar nicht mehr die Geduld aufbrachten mit mir zu reden und sich gar nicht um mich gekuemmert haben ausser mir Fisch zu grillen und zu servieren, das war mir wirklich sehr recht. Nuechtern koennen solche Treffen wirklich anstrengend sein. Am naechsten Tag ging es frueh weiter, endich wieder raus in die Natur. Der Abschnitt zwischen Severobaikalsk und Tynda der nun folgte, fuehrte mich ueber ca. 1300 Km Strassen ohne Asphalt doch mit jeder Menge Baeren und sonstigen Viechern. Dafuer war die Landschaft teilweise sagenhaft schoen. Man trifft in dieser Gegend auf nur wenig Menschen, einige der auf meinen Google Maps verzeichneten Doerfer exisitierten gar nicht bzw entpuppen sich als unbemannte Versorgungsstationen fuer die Bahnarbeiter. Die Entfernung zwischen bewohnten Doerfern bzw Doerfern mit Dorfladen wuchs auf 100km und mehr. Die BAM ist mittlerweile auch nur noch eingleisig und nicht mehr elektrifiziert.
Bild Auch Baeren haben sich mittlerweile einen gewissen Lebensstandard erarbeiten koennen.
Hier der Blick in ein typisches Wohnzimmer. Leider waren die Bewohner nicht anzutreffen – Herr Baer arbeitet im Lachsfang in Nordjakutien und Frau Baer verbrachte gerade ihren Sommerurlaub in einem deutschen Zoo
Bild Gegend oestlich des Baikal
Bild Brueckenwachhund - zum Glueck mit Erdnuessen zufriedenzustellen
Doch letztendlich sind die Strassen dann sogar etwas besser als ich befurchtet hatte. Es gibt natuerlich immer wieder Stellen, durchaus auch mal laengere, die wirklich anstrengend sind und wo man sich selber verflucht, dass man so bloed ist, sie mit dem Fahrrad zu befahren. Die machen wirklich keinen Spass, man bekommt auch ueberhaupt nichts von der Gegend mit denn man konzentriert sich nur auf die 10m die vor einem liegen um Steinen auszuweichen oder nicht in eine Sandspur zu geraten. Allein auf 50 km zwischen Severomuisk und Taksimo hab ich 3 Abgaenge vom Fahrrad gemacht. 2 davon waren einfache Umfaller: die Strasse war so steil dass ich nur im Schritttempo vorwaerts gekommen bin. Wenn dann das Vorderrad verspringt weil man bloed ueber einen Stein gefahren ist und nicht mehr aus dem Pedal rauskommt weil der Klickmechanismus durch Sand/Matsch blockiert ist, dann faellt man einfach um. Bei dem anderen Abgang hat ich wirklich Glueck, da bin ich irgendwie zu weit links gefahren und dann kam ein Stein der mir den Lenker verrissen und mich in den Wald befoerdert hat. Das muss von hinten wirklich lustig ausgesehen haben. Man stelle sich eine Gestalt vor die auf einem mit Packtaschen und sonstigem Gekrams voellig ueberladenen Rad sitzt, vor sich hinpfeifend eine Strasse entlangfaehrt und urploetzlich, in voller Fahrt und mit einem Schrei 90 Grad links ins Gestraeuch abbiegt. Staubwolke, Zweige krachen und Voegel fliegen verschreckt davon. Am Ende der Schneise die das schwere Rad ins Gebuesch geschlagen hat liegt unter selbigem eingeklemmt ein fluchender, voellig verdreckter Radfahrer den eine Million Muecken umkreisen die sich ueber das leckere Haeppchen freuen das ihnen da serviert wird...
Exkurs V: Pfeiffen in der Oeffentlichkeit ... ist in Russland seit Stalin verboten. Wenn ich das richtig verstanden hab was mir ein Russe erklaerte als er mich beim Pfeiffen erwischt hat, dann galt unter Stalin die Regel dass alle des Pfeiffens Ueberfuerten kein Geld bekommen. Also ich kann das erst nachgoogeln wenn ich wieder daheim bin, solange muesst ihr mir das glauben. Auf jeden Fall ist da was dran, denn oeffentliches Pfeiffen bringt hier die meisten Leute zum Grinsen oder man wird, wie ich, zur Ordnung gerufen.
Aber es gibt ja nicht nur Muecken, Sibirien hat eine ausserordentliche Artenvielfalt fliegender Stechinsekten. Die letzten 50 km von Severomuisk nach Taksimo folgt ein etwas besser ausgebautes Stueck. Ich haette an diesem Tag wirklich gute Laune gehabt wenn mir nicht dutzende von riesigen Pferdebremsen den Ruecken und den Hintern perforiert haetten. Es war an diesem Tag 35 Grad heiss, das heisst ich konnte mich nicht durch eine Jacke / Weste oder Hose schuetzen und das Antimueckengel hat der Schweiss nach ein paar Minuten weggewaschen. Man wird von diesen Biestern durch den Wald gejagt, ueber Stock und Stein, durch Sand und Kies, gnadenlos. Man kann sie unmoeglich abhaengen, die fliegen locker 40 km/h und das den lieben langen Tag lang. Schreien hilft nichts, mit den Armen nach ihnen Schlagen erhoeht nur die Unfallgefahr, Bitteln und Betteln oder Anflehen (zumindest auf Deutsch) bringt auch nichts. Erwischt man zufaellig eine, stachelt das die anderen nur umso mehr an. Man ist ihnen wirklich ausgeliefert und das nutzen sie aus. Sie haben eine Riesenfreude einen kurz anzupieksen um dann sofort wieder wegzufliegen, ehe man ueberhaupt die Chance hat sie mit einem Schlag in die ewige Pferdebremsenhoelle, die es hoffentlich gibt, zu befoerdern. Diese Teile haben keine natuelichen Feinde ausser Kuehlerhauben bzw. Frontscheiben, von denen es in Sibirien, aufgrund schlechter Strassen, nur sehr wenige gibt. Ein Teufelskreislauf! Es gibt anscheinend kein Tier das Geschmack an ihnen finden wuerde. Kein Vogel, keine Spinne, nix. Warum eigentlich nicht? Es macht doch so ueberhaupt keinen Sinn warum es sie geben sollte. Sie dienen offensichtlich nicht als Nahrungsquelle fuer andere Lebewesen und so wie es aussieht gibt es noch kein Verfahren um aus ihnen Biodiesel zu gewinnen. Einziger Sinn und Zweck ihres Daseins ist es, andere zu pisacken. Die Laune der Natur, die sie entstehen lies, war die pure Boshaftigkeit. Es lebe die Stubenfliege, die sticht wenigstens nicht!
Aber es folgen auch immer wieder gute Abschnitte. Sibirien ist Fluch und Segen zugleich. Innerhalb von ein paar Meter verwandelt sich eine gut zu befahrende Schotterpiste in eine mit dem Fahrrad kaum zu befahrende Strasse die eher einem ausgetrockneten Flussbett gleicht, folgen auf betonierte Bruecken in bestem Zustand wackelige, zum Teil abgebrannte Holzbruecken ueber die sich nicht mal Evil Knevel wagen wuerde, bzw. es gibt gleich gar keine Bruecke mehr und man darf einen Fluss durchwaten. Und das ganze natuerlich auch umgegkehrt. Trotzdem: ich bin an keinem einzigen Tag zusammengerechnet ueber ein Stundenmittel von 13kmh hinausgekommen. War die Strasse eine Weile gut wurde sie, das war so sicher wie ein Naturgesetz, irgendwann so schlecht dass ich zum Teil nur 8 km pro Stunde zuruecklegen konnte. Man wird wirklich dankbar fuer jeden Kilometer den man zuruecklegen kann ohne komplett durchgeschuettelt zu werden oder im Matsch oder Sand zu versinken. Ich hab solche Abschnitte im Gedanken immer als “geschenkte Kilometer” bezeichnet. Geschenkt ist fuer mich alles was schuettelfrei ist und sich mit mehr als 15 km/h befahren laesst ohne den Puls ueber 130 zu treiben.
Bild Flussbettstrasse bei Severomuisk
Bild Ein kleines Schlagloch in dem ich einen 2m Hecht gefangen habe
Bild Eines steht fest - diese Bruecke nicht
Bild Viadukt bei Severomuisk
Doch es gilt auch: je schlechter die Strassen desto netter die Menschen und umso schoener die Natur. Immer wieder erlebe ich Begegnungen die wirklich das Herz beruehren. So treffe ich auf einer Bruecke, die er gerade mit dem Auto ueberquert, einen aelteren Mann. Nachdem er die Bruecke ueberquert hat haelt er an, winkt mich zu sich und fragt ob ich Hunger habe. Er schenkt mir seinen kompletten Fang des Morgens, einen Eimer voller Fische, die ich mir dann abends am Lagerfeuer gegrillt habe. Oder es fahren mir 2 Bauarbeiter 5 km auf absolut uebelster Passtrasse hinterher um mir meine Jacke und meine Hose zu bringen die waehrend der Fahrt aus meinem Drybag rausgefallen sind. Oder ich werde mal wieder von Gleisarbeitern zu Tee und Keksen eingeladen (nicht immer wird waehrend der Arbeit Alkohol getrunken) und verbringe mit ihnen den ganzen Nachmittag. Ok, die meisten Menschen die ich treffe sind einfache Arbeiter vom Lande. Das, zusammen mit meinen minimalen Russischkenntnissen, bestimmt die Themen ueber die gesprochen wird (werden kann) und die Woerter die ich lerne. Meistens wird gefragt nach: Woher, Wohin, Warum (schwierig zu beantworten aber ich hab gelernt dass es ausreicht zu sagen dass ich 6 Monate Ferien habe), Wie nach Hause, bin ich verheiratet, habe ich Kinder, wieviel Geld verdiene ich im Monat, gibt es Prostituierte in Deutschland und wenn ja was kosten sie. Ich lerne, wie man seinen Unmut ueber die hiesigen Strassenverhaeltnisse klar zum Ausdruck bringt ( hui-nja doroga) oder seine Freude (sa ibis).
Bild Der Fahrradbelastungsmanager zusammen mit dem 130 kg schweren Belaster kurz vor Versuchsstart
Bild Belastungstest bestanden - zurueck zu den Gleisen
Die Tage vergehen immer recht schnell. Ich wache zwischen 6 und 7 Uhr auf. Anschliessend creme ich mir den Allerwertesten mit Mueckenschutzgel ein und begebe mich hinaus in die Wildnis. Das Mueckengel trage ich uebrigens ich aus purer Gehaessigkeit meinerseits auf, nicht weil mich die 37 Mueckenstiche die ich sonst kassieren wuerde noch in irgendeiner Weise stoeren wuerden. Es folgt Fruehstueck (Brot mit Wurst, an guten Tagen mach ich Feuer und koch noch Tee) und Zeltabbau, Rad beladen und nach spaetestens 1,5 Stunden kann ich losfahren. Ich fahre meist 3 Stunden netto, dann ist Mittagspause (Der Chef persoenlich gereicht: in Ketschup gewendete Wurst an majonaeisiertem, bis zu 3 Tage in einer Radtasche veredeltem Weissbrot. meistens such ich mir eine Bruecke zum Vespern aus, da hats weniger Viecher). Nachmittags fahr ich 2 Stunden oder manchmal auch laenger, je nach Laune und wie durchgeschuettelt ich gerade bin. Es folgt die Zeltplatzsuche, dann Zeltaufbau, waschen, Essen kochen usw. Der Zeltaufbau und das Kochen erfolgt meist in voller Montour, also mit Jacke und Hose und Hut mit Mueckennetz, egal wie heiss es ist. Schwitzen ist halt das geringere Uebel.. Am Freitag und am Samstag gibts jeweils ein Klimperkasten-Gedaechtnisbier das ich vorher in einem Bach runterkuehle. Das Wasser in den Baechen ist eiskalt, also wirklich einstellig... ich hatte hier neulich auch noch Schneereste vom Winter. Auf 800m Hoehe, mitten im Juli und noch ueber einen Meter dick. Mittlerweile kann ich Bier auch ganz gut von den hiesigen Alkopops unterscheiden um die man besser einen Riesenbogen macht.
Bild Mittagessen auf der Bruecke
Bild Entspannte Abende auf Gleis 1
Bild Landschaft bei Syulban
Exkurs VI Russisch Einkaufen – auf dem Lande
Wenn man von einer Russin freundlich bedient werden moechte dann geht man am besten in einen MacDonalds in Deutschland. In einem russischen Dorfladen, oder zumindest in einem sibirischen, ist das eher schwierig. Man betritt den Laden und erkennt sofort was Sache ist: aha, wieder so eine Verkaeuferin die einem mit minimalst moeglicher Freundlichkeit die Waren aus dem Regal reicht und abkassiert. So funktioniert das naemlich hier. Alle Waren sind hinter der Theke und man sagt, sofern man Russisch kann, was man gerne haette. Kann man kein Russisch wird gefuchtelt und herumgezeigt. Wem das Gefuchtel auf die Dauer zu laestig ist und wer ausserdem zu faul ist die Vokabeln zu lernen, der nimmt sich am besten einen Laserpointer mit um auf die Waren zu zeigen. Die Verkaueferin holt dann die gewuenschte Ware und addiert, meist auf dem Abacus, den entsprechenden Betrag zur Gesamtsumme. Doch, was ein Wunder, ab und zu kann man so eine Verkaeuferin auch knacken indem man selber immer betont freundlich und hoeflich ist! Die Chancen stehen 50:50 doch dann verwandelt sich die Zicke in eine liebenswerte, hilfsbereite, serviceorientierte Verkaufskanone die einem den halben Laden anbietet und einem zum Abschied sogar noch eine gute Reise wuenscht. Und die Oeffnungszeiten sind genial. Jeden Tag in der Woche, von 8 bis 23.00 Uhr ist fast schon normal. Das Angebot ist sehr vielfaeltig, der Russe bekommt alles was er begehrt, ich das auf was ich zeigen bzw. das was ich schon sagen kann. Nein, also wirklich, das Sortiment der Laeden ist sehr gross und auch die Qualitaet stimmt. Ich habe oft gehoert dass ich mich vor der russischen Dorfladenwurst in Acht nehmen soll, aber diese Warnungen waren voellig unbegruendet.
Zurueck zm Alltag im Sattel: ich bin also taeglich zwischen 60 und 80 km auf diesem Abschnitt vorangekommen. Bestimmt kann man da auch mehr fahren, das ist reine Kopfsache. Mein Kopf, bzw dessen Inhalt war aber nach 5 Stunden meist dermassen durchgeschuettelt dass ich einfach keine Lust mehr hatte. Und schliesslich ist das hier ja auch Urlaub und ausserdem brauch ich von meinem ziemlich begrenzten Vorrat an Hirnzellen, der sich allein durch simples Dahinleben schon dezimiert, zumindest noch soviele dass ich noch weiss wie man eine Banane schaelt. Ich schaetze mal dass 5 stuendiges Fahren mit einem ungefederten Rad auf sibirischer Flussbettstrasse in etwa soviele Gehirnzellen kostet wie ein Abend im Hofbraeuzelt auf dem Cannstatter Wasen. Wenn man das ueber Wochen macht, nun ja, wie gesagt, wir alle leben mit beschraenkten Resourcen... Also ich hatte sowieso schon einen latenenten Hals auf die Strassenverhaeltnisse als ich 350 km vor Tynda vor einem 200m breiten Fluss stehe, noch ziemlich angefeuchtet von der Flussueberquerung 2 Stunden zuvor bei der mein Rad und ich fast weggetrieben worden waeren. Die einzige Verbindung zum anderen Ufer ist eine Eisenbahnbruecke ueber die man mich aber nicht mit dem Rad fahren bzw. Schieben laesst. (Alle grossen Bruecken und langen Tunnels sind bewacht und man darf mit dem Rad nicht drueber oder durch ). Ich stehe seit 2 Stunden vor der Bruecke direkt neben dem Gleis und mache mir gerade Gedanken auf wieviel Uhr ich den Wecker stellen soll um die Bruecke nachts zu ueberqueren als, und das ist halt echt Russland, eine Lok mit einem einzigen Wagen hinten dran angefahren kommt und mir der Lokfuehrer nach dem ueblichen www (woher, wohin, warumzumteufelmitdemfahrrad) anbietet mich ueber die Brucke mitzunehmen und mich im naechsten Dorf abzusetzen. Genial, das Rad wird verladen und kurze Zeit spaeter fahre ich im Zug ueber die Bruecke. Im Wagon sitzen nen Haufen Arbeiter der Eisenbahn die natuelich eine Riesenfreude haben einen Touristen mitnehmen zu koennen (das ist jetzt nicht ironisch gemeint). Sie befinden sich gerade auf dem Weg zurueck von ihrer 5 Tagesschicht draussen in der Taiga nach – Tynda! Ich muss nur seeehr kurz ueberlegen als ich gefragt werde ob ich nicht gleich bis dahin mitfahren will. Ich bekomme Abendessen aus der Bordkueche und einen eigenen Liegeplatz im Abteil und revanchier mich mit Musik die wir von meinem Laptop per Bluetooth auf diverse Handies kopieren. Auch wenn die Landschaft natuerlich echt der Wahnsinn war bin echt froh dass die Ruettelei nun erstmal zu Ende ist.
Kleiner Nachtrag: Die angekuendigen Baeren waren ueber alle Berge. Ich hab keinen einzigen zu Gesicht bekommen, nicht mal mehr nennenswerte Spuren (irgendwo an der Strasse hab ich mal ein paar uralte, eingetrocknete Minitapser gesehen). Fast jeder mit dem ich ins Gespraech gekommen bin hat mich aber gefragt ob ich welche gesehen haette und mir viel Glueck gewuenscht., insofern ist das schon ein Thema. Die haben sich echt gewundert wie man dort KEINEN Baeren zu Gesischt bekommen kann. Naja, also mir war das ehrlich gesagt sehr recht – im Zug nach Tynda hab ich Bilder von einem Gleisarbeiter gesehen ueber den vor 2 Jahren am hellichten Tag ein Baer hergefallen ist. Da stand ein Turnschuh mit Unterschenkel auf dem Gleis, der Rest war nur noch ein Haufen Matsch. Im Zug befand sich uebrigens auch ein doppellaeufiges, geladenes Gewehr, Model Baerentoeter. Das gehoert hier zur Standardausruestung von Bahnarbeitern.
Weiter gehts mit den Berichten wenn ich in Wladiwostok, dem Ende meiner Russlandtour angekommen bin...
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